Seid herzlich gegrüßt.
Schön, dass ihr da seid. Schön dass ihr euch die Zeit einräumen konntet,
dass ihr entschieden habt, jetzt und heute weiter auf dem Weg zu sein.
Ich habe euch in den letzten Stunden dieses Gedicht von Rilke vorgelesen. Die erste Strophe davon, das möchte ich auch heute nochmal tun und dann meine Gedanken dazu weiterspinnen.
Weiterdenken in Richtung Leichtigkeit aus einer Stabilität heraus.
„Du musst das Leben nicht verstehen.
Dann wird es werden wie ein Fest
und lass dir jeden Tag geschehen, so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem wehen, sich viele Blüten schenken lässt.“
In den letzten beiden Stunden hatte ich mich hauptsächlich beschäftigt mit den ersten beiden Zeilen „Du musst das Leben nicht verstehen“ und dann eben weitergeführt zu der Idee, dass es dann wie ein Fest werden kann.
Heute möchte ich mich mehr der dritten Zeile widmen „und lass dir jeden Tag geschehen“….
Was kann damit gemeint sein. Was kann Rilke sich dabei gedacht haben? Das wissen wir nicht, aber ich denke, es kann ein Hinweis sein auf den „Anfängergeist“.
Anfängergeist -eine Idee, die wir in verschiedenen spirituellen Traditionen,
in vielen spirituellen Gedanken und Wegen finden können „und lass dir jeden Tag geschehen“.
Das heißt, nicht wir machen den Tag!
Nicht, ich mache alles das, was ich will und was da drumherum geschieht, sondern ich lasse mir diesen Tag geschehen. Ich schau ihn an, ich nehme ihn so, wie er da ist.
Ich nehme ihn als ein Geschenk, als etwas ganz Besonderes als etwas ganz Neues.
Auch hier ist es natürlich wieder so, dass uns das nicht den ganzen Tag gelingt, dass uns das nicht vom Aufwachen bis zum Schlafengehen gelingen wird.
Ich bin überzeugt davon, dass es gut ist, so etwas wie den Anfängergeist zu üben.
Gerade wenn sich die Dinge wiederholen, wenn wir manchmal lieb gewonnene Rituale irgendwann als langweilig empfinden oder wir bestimmte Tätigkeiten ausführen müssen, die uns nicht mehr erfreuen, die uns eher unangenehm sind. Das sind die Gelegenheiten zu schauen: Wo kann ich da den Anfängergeist einsetzen? Was heißt das, wenn ich mit Anfängergeist etwas anschaue, etwas tue?
Anfängergeist.
Da kommt dann die nächste Zeile ins Spiel „So wie ein Kind“, so wie ein Kind immer wieder etwas Neues entdeckt und ganz frei, ganz unbeeinflusst auf etwas schaut. So können auch wir den Anfängergeist kultivieren.
Da ist sie wieder, die Verbindung zum Üben auf der Matte.
Auch das Üben auf der Matte, das Üben von Āsanas, von Atemübungen vom Stillwerden kann immer wieder mit Anfängergeist geschehen.
Dann werden auch Wiederholungen nicht zu Langeweile, dann werden die Wiederholungen zu etwas Neuem, zu etwas Frischem. Wenn ich etwas neu betrachte, mit Anfängergeist, dann ist es, als wenn ich es noch nie getan hätte, als wenn ich es ganz neu entdecke. Und im gewissen Sinne ist es ja auch so – Veränderung geschieht stetig in uns so sehe ich die Dinge oder Situationen aus einer anderen Perspektive als gestern, wenn ich mir dessen bewusst werde.
So möchte ich auch heute mit euch üben. Ich möchte mit euch auf diesem Weg des Anfängergeistes in unsere Yogapraxis eintauchen.
Ihr werdet sicherlich an vielen Stellen denken „Das hatte ich ja schon“. Der Geist geht wandern, wenn ihr das während einer Übung spürt. Dann kann der Anfängergeist ins Spiel kommen während einer Haltung, während eines Atemzuges, immer dann, wenn der Geist wandern geht.
Wie ein Kind neu zu schauen, sich wieder zurückführen auf den Pfad des bewussten Übens.
Auf den Pfad des Seins in diesem Moment mit dem, was jetzt ist. Mit Anfängergeist.