Absichtslosigkeit

Schön, dass ihr da seid, ich freue mich auch heute, wieder mit euch gemeinsam unterwegs zu sein. Jetzt, in diesem Augenblick, wenn ihr den Text lest.

Ihr könnt euch jetzt einen Augenblick Zeit nehmen, die Aufmerksamkeit, auf diesen Moment zu lenken.

Ganz im Jetzt zu sein, ganz im Jetzt zu spüren.

Die Auflagepunkte im Sitz oder Stehen.

Die innere Aufrichtung, die Haltung des Kopfes und der Arme und Schultern

und den Atem, der ein und ausfließt.

Jean Gebser, ein Philosoph, der sich unter anderem – kurz zusammengefasst – mit spirituellem Wachstum, mit der Weiterentwicklung unseres Menschseins, der Transformation, beschäftigt hat, hat mich für diesen Text inspiriert.

„Anstelle des ausschließlichen Zweck- und Zieldenkens tritt die Absichtslosigkeit.“

Auch hier gibt es für mich ganz viele Parallelen zum Yoga üben, denn auch

auf unserem Yoga-Weg haben wir häufig Ziele. Wir wollen diese oder jene Haltung können. Wir wollen tiefer ein- und ausatmen können, wir wollen still werden können. Und dann üben wir.

Wenn dieses Üben ganz verkrampft und angestrengt ist, ganz stark auf diese Ziele ausgerichtet ist,

dann verpassen wir die Momente,

in denen es leich und still und frei ist.

Wenn es uns gelingt, von den Zielen, etwas Abstand zu nehmen, „zielloser“ zu üben,

den Zweck ein wenig in den Hintergrund rücken zu lassen, dann können diese Yoga-Augenblicke auftauchen.

Diese Momente, in denen ich ganz hier bin, ganz jetzt in dem, was ich bin.

In denen alles zu stimmen scheint, in denen ich ganz mit mir verbunden bin.

Auch hier ist es natürlich wieder so, dass das keine langanhaltende Empfindung oder womöglich noch ein „Zustand“ ist. Es ist ein kurzer kleiner Moment.

Doch dieser Moment gibt uns die Möglichkeit herauszusteigen, aus diesem Mühen, aus dem zweckgebunden, zielgebunden sein und das als oberste Maxime zu sehen.

Wenn wir spüren können, dass es uns mit einem tiefen Glück erfüllt, in der Absichtslosigkeit, in dieser

„Nicht Zielgerichtetheit“ zu sein, zu üben und wirklich präsent zu sein.

So können wir uns vielleicht ein wenig lösen von der Idee, dass alles einen Sinn haben muss, dass alles ein Ziel und einen Zweck haben muss.

Ich bin überzeugt davon, dass auch Gebser nicht gemeint hat, dass wir nie ein Ziel oder einen Zweck im Blick haben sollten. Wir können planen, wir können uns auf ein Ziel ausrichten. Genau das ist oft der Motor dafür, einen Schritt weiter zu gehen. Diesen Motor sollten wir nicht einfach „absaufen lassen“ und sagen: ich bin nur noch absichtslos und guck mal, was geschieht.

So würden wir eine große Chance der Weiterentwicklung in unserem Leben vertun. Aber uns bewusst zu machen, dass diese Momente der Stille und des tiefen inneren Glücks, der Liebe oder der Leichtigkeit, dass sie auftauchen eben dann, wenn ich absichtslos übe. Wenn das Ziel und der Zweck in den Hintergrund treten.

So haben wir auch heute in jedem Augenblick wieder die Gelegenheit an dieser Absichtslosigkeit zu üben. Im Alltag und in unserer Yoga-Praxis! Wir können uns immer wieder innerlich überprüfen, wahrnehmen, will ich hier noch mehr, habe ich ein bestimmtes Ziel im Auge, das ich jetzt mit zusammengebissenen Zähnen erreichen will oder kann ich loslassen?

Kann ich absichtslos üben? Kann ich der Absichtslosigkeit in meinem Alltag Raum geben?